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Die Bagonghi Compagnie hat am 1. März 2021 mit einem Vorlese-Projekt begonnen, das bis in die Ostertage hinein andauert: Mitglieder und Freunde der Hamburger Theatergruppe, deren Stammsitz der Turm der St. Georgskirche am Hauptbahnhof ist, lesen - online - Abend für Abend je ein Kapitel aus Hans Christian Andersens „Bilderbuch ohne Bilder“. Vom 1. März bis zum 2. April, dem Geburtstag von Hans Christian Andersen und Internationalen Kinderbuchtag, wird an dieser Stelle täglich eine neue kleine Videolesung veröffentlicht.
„Ein kleines Buch war es nur, aber gewiss das aller meiner Bücher, das nach Besprechungen und Auflagen in Deutschland am meisten Erfolg hatte und eine unglaubliche Verbreitung fand, eher noch als meine Märchen.“ Das schreibt der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen im Jahr 1855 in seiner Autobiografie „Märchen meines Lebens“.
Während er heute vor allem für seine Märchen berühmt ist, darunter „Die kleine Seejungfrau“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ und „Des Kaisers neue Kleider“, war das „Bilderbuch ohne Bilder“, das 1841 in einer ersten deutschen Übersetzung erschien und damals schnelle Verbreitung fand, lange Zeit nahezu vergessen. Heute, in Zeiten der Pandemie, gewinnt es plötzlich wieder an Bedeutung, denn die Grundkonstruktion der Erzählung kann von uns allen nachvollzogen werden:
Da sitzt ein junger, mittelloser Schriftsteller in einer winzigen Dachwohnung im Zentrum von Kopenhagen: „An Licht mangelt es mir nicht“, schreibt er, „denn ich wohne hoch oben, mit der Aussicht über sämtliche Dächer.“ Er erfindet die Geschichte eines Menschen, der selber nicht reisen kann und sich stattdessen von dem Mond - 33 Abende lang - Geschichten aus aller Welt erzählen lässt, Geschichten über das, was der Mond - größtenteils in europäischen Kulturstädten - gesehen und gehört hat. Es sind Momentaufnahmen mit traurigem, komischem, grausamem, zärtlichem oder melancholischem Charakter. Andersen verarbeitet in diesen kurzen Prosa-Skizzen eigene Reiseerfahrungen, die ihn durch ganz Europa geführt hatten.
Das Gefühl festzusitzen und auf eigene Erinnerungen oder die Erzählungen anderer angewiesen zu sein, das in diesem geschliffen fein gezeichneten „Bilderbuch ohne Bilder“ zum Ausdruck kommt, werden die meisten von uns seit Monaten haben, auch wenn wir weniger den Mond anschauen, als vielmehr auf unsere Smartphones starren, deren Suchmaschinen uns mit den so sehnsüchtig verlangten Bildern aus all den Welten versorgen, die uns zur Zeit nicht offen stehen.
Es lesen: Mitglieder und Freunde der Bagonghi Compagnie Hamburg
Idee & Projektleitung: Hans Happel und Philipp Roth
Plakatzeichnung: Camille Glaesener und Lea-Francesca Grünbichler
Musikalische Rahmung: KhalIl Kry
(und musikalisch begleitet von Michael Schirmer)
Es ist ein großer Bucherfolg inmitten des 19. Jahrhunderts. Kurzprosaskizzen. Die Rezensenten nicht nur deutscher Blätter überschlagen sich vor Begeisterung, die Leserinnen und Leser ohnehin: Texte „… wie es deren wenige gibt“; „… Humor, Satire und tiefe Moral haucht aus denen mit wenigen Federstrichen …“; „… wird bald in aller Hände sein …“; „… hinreißend, bezaubernd.“ Friedrich de la Motte Fouqué übersetzt 1842 die Federstriche des „Billedbog uden Billeder“ ins Deutsche.
Die Anfänge dieser Skizzen werden 1827 in einem Dachzimmer der Vingaardstraede 132 notiert, in Kopenhagen. Der Mond, der in 33 Stationen über das von ihm Gesehene und Gehörte, den Gedanken der Menschen Abgelauschte berichtet, aus der tief unter ihm liegenden Erde, dieser Mond hat auch ins Dachfenster des unter dieser Adresse ärmlich lebenden, noch jungen Dichters Hans Christian Andersen geblickt. Der Gesang der Nachtigallen ist oft an diesen erzählten Abenden und in den Nächten zu hören.
Im Dezember 1839 erscheint Andersens „Bilderbuch des Mondes“ und darin „glitt“ er am 15. Abend auch „über die Lüneburger Heide“, eine seinerzeit eher öde und verrufene Gegend, die Andersen allerdings auf einer Reise durchquert und als einer der ersten Poeten begeistert in den „Rejseskitser“ besungen hat. Auch hier singt eine Nachtigall, singt „in der Nachtkälte“ der Heide „zum Tode verurteilt … ihren Abschiedsgesang“. Der Mond erblickt im Morgendämmern eine Karawane von Auswanderern, die ihrem vermeintlichen Glück entgegenziehen und als der Tag heller wurde, sieht er Bauersleute zur Kirche wandeln, als wären sie just den alten Kirchenbildern entstiegen. Sie möchten für die armen Auswandererseelen „beten“, wünscht der Mond, „für jene, die jenseits des wogenden Meeres zu ihren Gräbern wandern.“
(Oskar Ansull)
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